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Bei einem Schlaganfall zählt jede Minute


Neue Diagnose- und Therapieverfahren in der Kreisklinik Ebersberg

Bei einem Schlaganfall zählt jede Minute – Neue Diagnose- und Therapieverfahren in der Kreisklinik Ebersberg
Von links: Prof. Dr. Martin Schmidt und Dr. Klaus Pürner am Telekommunikations-Turm auf der Schlaganfall-Station TEMPiS. Foto: kk/sf

Ebersberg, April 2021 – Nach einem Schlaganfall bleibt nur wenig Zeit, um das Leben der oder des Betroffenen zu retten beziehungsweise dauerhafte körperliche Einschränkungen abzuwenden. Anlässlich des „Tag gegen den Schlaganfall“ am 10. Mai weisen Prof. Dr. Martin Schmidt, Chefarzt der Inneren Medizin II an der Kreisklinik Ebersberg, und Dr. Klaus Pürner, Oberarzt der Schlaganfall-Station TEMPiS, auf die Notwendigkeit einer schnellen Schlaganfallversorgung hin.

Was passiert bei einem Schlaganfall im Körper?
Pürner: Zunächst einmal unterscheiden wir zwischen zwei Hauptformen. In den meisten Fällen – zu rund 90 Prozent – kommt es zu einer mangelnden Durchblutung von Teilen des Gehirns, weil ein Blutgerinnsel ein Gefäß verstopft. Wesentlich seltener ist die Hirnblutung. Die Ursache ist das Aufplatzen eines Hirn-Gefäßes. Noch seltener ist die sogenannte Dissektion. Hierbei reißt in der Halsschlagader die Gefäß-Innenhaut, löst sich von der mittleren Gefäßhaut, Blut gerät in den Zwischenraum, gerinnt und verursacht eine Engstelle. Das kommt auch bei jüngeren Patienten, also unter 50-Jährigen vor.

Das bedeutet, einen Schlaganfall erleiden vorwiegend ältere Menschen?
Pürner: Alter ist einer der größten Risikofaktoren, weil die Gefäße im Laufe des Lebens verkalken. Wenn das zum Beispiel bei der Halsschlagader geschieht, können sich von dort Ablagerungen lösen, ins Gehirn wandern und einen Gefäßverschluss verursachen. Aber das heißt nicht, dass jüngere Menschen nicht gefährdet wären. Im vergangenen Jahr waren 15 von insgesamt 400 unserer Schlaganfallpatienten unter 50 Jahre.

Gibt es typische Symptome für einen Schlaganfall?
Pürner: Ja. Wenn plötzlich auf einer Körperseite Lähmungen in Gesicht, Bein oder Arm, Sprach- oder Gefühlsstörungen auftreten. Weitere Anzeichen können Sehstörungen, plötzlich auftretende, starke Kopfschmerzen, Schwindel oder unlogische Handlungen sowie Verwirrtheit sein. Dann sollte sofort ein Notarzt gerufen werden.

Warum ist schnelles Handeln so wichtig?
Schmidt: Das Blut in den Gefäßen versorgt unser Gehirn mit Sauerstoff, ohne den keine Körperzelle existieren könnte. Bei jeder Art von Schlaganfall kommt es zu Durchblutungsstörungen und schon nach wenigen Minuten sterben Gehirnzellen ab. Wird ein Schlaganfall nicht innerhalb von viereinhalb Stunden behandelt, kann das schwere Folgen haben, etwa dauerhafte Lähmungen, Sprachverlust und mehr. Dank neuer Techniken können wir jedoch auch in manchen Fällen noch nach 24 Stunden Verbesserungen der Gehirn- und Körperfunktionen erreichen.

Welche Techniken sind das?
Schmidt: Moderne Bildgebungsverfahren sind heutzutage so präzise, dass wir Gehirnregionen erkennen können, die noch nicht abgestorben sind. Bei dem Patienten wird dann wie bei allen Schlaganfallbetroffenen entweder eine Thrombolyse durchgeführt, das heißt, er bekommt intravenös ein blutverdünnendes Medikament, welches das Blutgerinnsel auflöst. Oder wir wenden ein relativ neues, operatives Verfahren an, die Throm-bektomie. Dabei wird der Pfropfen mechanisch mit einem Spezialgerät, dem Stent-Retriever, entfernt. Er wird über einen Katheter durch die Leistenarterien in die das Gehirn versorgende Arterie eingeführt.

Wovon ist die Art der Therapie abhängig?
Pürner: Blutverdünnende Medikamente dürfen nur verabreicht werden, wenn durch die Computertomografie (CT), die am Anfang jeder Untersuchung steht, eine Hirnblutung ausgeschlossen werden kann und auch in anderen Körperteilen keine frischen Blutungen sind. Ausschlaggebend für die Therapiewahl sind aber auch die Schwere der körperlichen Einschränkungen und noch einige Faktoren mehr. Als Teil des Telemedizinischen TEMPiS-Netzwerkes ziehen wir bei jedem Patienten per Video einen Experten aus den Schlaganfallzentren München Klinik Harlaching oder Universitätsklinik Regensburg zu Rate. Wenn eine Thrombektomie notwendig sein sollte, fordern wir ein externes Neuroradiologen-Team aus dem Münchner Klinikum rechts der Isar an, das per Hubschrauber eingeflogen wird. „Flying Interventionalist“ ist ein Studienprojekt der München Klinik Harlaching, an dem wir seit Februar 2018 teilnehmen. 2020 haben wir die schnelle Hilfe bei drei Schlaganfallpatienten in Anspruch genommen.

Wie kann einem Schlaganfall vorgebeugt werden?
Schmidt: Die Risikofaktoren sind ähnlich wie für einen Herzinfarkt: Ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel, Rauchen, hoher Blutdruck und Diabetes. Die ersten drei Punkte können wir selbst steuern, die anderen beiden bedürfen einer guten, medikamentösen Einstellung. Bei Patienten, die bereits einen Schlaganfall erlitten haben, gehen wir in der Prävention noch weiter. Ein Drittel aller Schlaganfälle wird durch Vorhofflimmern verursacht. Es kommt zu Blutgerinnseln im Vorhof-Ohr, die sich lösen und ins Gehirn wandern können. Mithilfe eines Eventrekorders, ein kleiner Chip, der unter die Haut implantiert wird und den Herzrhythmus aufzeichnet, kann in vielen Fällen ein vorher nicht bekanntes Vorhofflimmern oder eine andere Herzrhythmusstörung bis zu drei Jahre nach dem Schlaganfall erkannt und dann gezielt behandelt werden.

Was ist die Ursache von Schlaganfällen bei jüngeren Menschen ohne Herzerkrankung?
Schmidt: Eine häufige Ursache ist eine angeborene, offene Stelle in der Herzscheidewand (offenes Foramen ovale), die sich etwa bei jedem fünften Menschen findet. Diese schließen wir bei uns im Herzkatheterlabor mit Hilfe eines Occluders, einem kleinen Schirmchen. Der kleine Eingriff, der weniger als 30 Minuten dauert, kann bei jungen Patienten zuverlässig weitere Schlaganfälle verhindern, wie aktuelle Studien zeigten.

Welche weiteren Neuerungen erwarten Sie für die Kreisklinik?
Pürner: Im Juli streben wir die Zertifizierung unserer Schlaganfallstation durch die Fachgesellschaft für Neurologie an. Dies soll die hervorragende Arbeit unseres Teams aus Ärzten, Pflegepersonal, Logopäden und Physiotherapeuten offiziell dokumentieren.

Das Gespräch führte Sybille Föll, Freie Journalistin


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